Rezension Max Porter „Trauer ist das Ding mit Federn“

Ein Buch zum Thema Trauer

Heute möchte ich Ihnen ein Buch näherbringen, dass alles andere als leicht zu lesen ist. Es heißt: „Trauer ist das Ding mit Federn“ von Max Porter. Das Ding mit Federn ist eine Krähe.

Was haben Krähen mit Trauer zu tun?
Ihr Ruf klingt lautmalerisch, ist weithin zu hören, sie sind diebisch (Elstern), frech und schlau (Keas). In der Bibel versorgen Raben Elias mit Futter und dienen Gottes Werk. Andererseits erscheinen sie uns unheimlich, wir erinnern uns an Hitchkocks Film „Die Vögel“. Im Märchen sitzt oft eine Krähe auf der Hexenschulter, Menschen werden in Krähen verwandelt.  Im Jugendbuch „Krabat“ von Ottfried Preußler erkennt eine junge Frau ihren Freund unter mehreren Krähen. Erst dadurch wird er wieder zum Menschen und kann sein Leben (neu) leben. In der Psychologie stehen Krähen/Raben einerseits für Todesboten, andererseits stehen sie in Mythen der Seele des Helden hilfreich zur Seite, um eine Prüfung zu bestehen. So gesehen ist eine Krähe als Symbol für Trauer kein neue, sondern eine treffende Idee.

Wie kommt man dazu, so etwas zu schreiben?
Weiß man, dass der Autor ein britischer Buchhändler ist, der Bücher liest, liebt und viele Werke der Literaturgeschichte in sich aufgesogen zu haben scheint, so ist es nicht weiter verwunderlich.
Vorbild für dieses dünne Buch ist eines von Ted Hughes, der den Selbstmord seiner Frau in „Die Krähe“ bearbeitet. Ob Max Porter auch eigene Erfahrungen verarbeitet, bleibt unklar. Dass er seine innere umfangreiche Literaturwelt mit hineinschreibt und öfter auf andere Werke und Fabeln Bezug nimmt, lässt sich so erklären. Auf weniger extrem belesene Menschen kann das fast angeberisch, ja, abschreckend wirken. Aber keine Sorge, zum Schluss kommt auch ein wenig Kitsch.

Wie liest sich das Buch?
Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig, es wirkt wie ein zerklüftetes Gebirge oder wie ein Gedicht ohne Reim. Es gibt kurze Blicke und (innere) Dialoge von Krähe mit einem Witwer und seinen Jungs in drei Teilen, modern, mit phasenweiser aggressiver Sprache. Wer denkt, er liest die 125 Seiten an einem Abend, der könnte sich irren.

Warum also sollten Sie das Buch trotzdem in die Hand nehmen und lesen?
Als kleine Kinder gab es eine Zeit, da sagten meine Söhne: „Das lese ich nicht, da sind keine Bilder drin“. Hier aber sind Bilder drin – in jedem Wort, in jedem Satz!
Wenn wir uns nicht abschrecken lassen, dann kann „Krähe“ uns den Weg weisen:
Ungefragt besetzt der riesige Vogel ein Haus und seine Menschen, die genauso ungefragt aus ihrem Leben katapultiert wurden, als sie die Frau bzw. Mutter verloren. Krähe macht das, weil nur Trauernde sie fordern, alle andern langweilen sie. Und Trauernde fordern uns als Begleiter, allerdings.

Das Buch schreckt Sie ab?
Ja, Tod und Leid tun das. Erst, wenn wir uns öffnen, stellen wir uns dem Entsetzen des Todes für einen Mann und zwei Kinder. Und darum benimmt sich Krähe völlig unmöglich: Unhöflich, provokant, eklig, zerrissen, empathisch, mitreißend, aufwühlend, sprunghaft, fluchend – schwer auszuhalten, ja fast unerträglich, wie der Schmerz – und genau darum hilft sie dem Mann und gefühlt manchmal noch mehr den Jungs durch die Trauer. Es ist „bitterlich wunderbar“ (S.15).
Lesen Sie einen Teil oder nur eine Seite, egal. Lassen Sie sich drauf ein, dann entfaltet sich die Wucht der Sprache und begleitet Sie durch das Buch und die Trauer(phasen), bis zu dem Zeitpunkt, als die Hoffnungslosigkeit weicht und das Leben die Drei wieder hat, und es ist „Unvollendet.Wunderbar.Alles“ (S.125).
Und dann geht Krähe als Freund der Familie.

Schreiben Sie mir Ihre Gedanken und Erfahrungen mit dem Buch.
Ich freue mich, von Ihnen zu hören und ich antworte Ihnen garantiert.        

Herzliche Grüße
Ihre Dorothée Grauer